Ferris & Sylvester im Interview

Ferris & Sylvester Pressefoto Wizard Promotion

„Ein guter Song muss schon im Kern ein guter Song sein“. Das britische Duo Ferris & Sylvester im Gespräch mit Sounds & Books

Interview von Ullrich Maurer

Doppelt hält besser. Das müssen sich Issy Ferris und Archie Sylvester gedacht haben, als sie sich 2016 in London das erste Mal über den Weg liefen und seither als Songwriter- und inzwischen auch Ehe- und Elternpaar unzertrennlich sind. Nach dem Erfolg des 2022er Debüt-Albums „Superhuman“ und der sich an die Veröffentlichung anschließenden Touren durch Europa und die USA folgt nun bereits das zweite Album „Otherness“ – und hier legen Ferris & Sylvester in Bezug auf das Songwriting, die Produktion und die Arrangements noch mal ordentlich nach und lassen ihren attraktiven Mix aus Folk-, Soul- und Gitarrenpop, Blues und Psychedelia in neuem Glanz erscheinen.

Auf amerikanischer Spur

Nachdem Ferris & Sylvester ihr Debüt-Album mit mehreren EPs vorbereiteten, entstand die nun vorliegende, zweite LP „Otherness“ relativ schnell. So waren die Songs bereits weitestgehend fertig, als Ferris & Sylvester auf einer US-Tour im letzten Jahr von der Frühgeburt ihres ersten Kindes überrascht wurden – was übrigens dazu führte, dass das englische Paar nun einen amerikanischen Sohn hat. Dass Ferris & Sylvester überhaupt in den USA auf Tour waren, ist hingegen nicht so erstaunlich, denn offensichtlich lässt sich das Paar musikalisch vor allen Dingen von

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amerikanischen musikalischen Tugenden inspirieren – obwohl sie doch beide aus dem UK stammen.

Ferris & Sylvester auf der amerikanischen Spur?

Archie Sylvester: Das ist interessant, dass Du das so hörst. Und zwar deswegen, weil es für mich schwer ist zu sagen, welche Elemente in unserer Musik amerikanisch und welche britisch klingen. Wir haben uns nämlich eher an der Zeit orientiert und Elemente aus den 60’s und 70’s miteinander kombiniert und haben dabei mit einem Touch Psychedelia, anspruchsvolle Akkordfolgen und Streicherarrangements gearbeitet. Also in Bereichen, woher unsere Einflüsse stammen und in die Richtung in die unsere Vorbilder in den 60ern und 70ern gegangen wären.

Das ging dabei gar nicht unbedingt bewusst in eine amerikanische Richtung – aber nachdem Du das jetzt so gesagt hast, muss ich einräumen, dass Du vermutlich recht hast, denn wären wir nicht in den USA gewesen, hätten wir vermutlich nicht auf amerikanische Acts wie Glen Campbell oder die Alabama Shakes als Inspiration zurückgegriffen. Wir haben aber auch englische Elemente in unserer Musik wie zum Beispiel folkige Led Zeppelin Sachen oder so etwas. Es war auf jeden Fall keine absichtliches Ding. Für’s erste leben wir jedenfalls weiter in England.

Aus verschiedenen Richtungen

Wie haben Ferris & Sylvester denn zu dem musikalischen Mittelgrund gefunden, der sie heute durch seine Vielschichtigkeit und Komplexität auszeichnet?

Archie: Na ja – der Mittelgrund ist das Endprodukt unserer Arbeit. Wie wir dahin gelangen ist nicht ganz einfach zu beschreiben. Du wärest vermutlich erstaunt, wenn Du wüsstest, dass wir oft aus ganz verschiedenen Richtungen aufeinander zusteuern. Ich möchte Issy ja keine Worte in den Mund legen, aber ich würde sagen sie kommt aus der folkigeren Singer/Songwriter-Ecke, während ich mehr mit dem Blues aufgewachsen bin. Das war aber, bevor wir uns trafen. Der Mittelgrund ist dann der Song daselbst. Und zwar das, was uns beide am meisten daran interessiert.

Wir haben uns ursprünglich ja sowieso getroffen, um gemeinsam Songs zu schreiben. Das fanden wir dann ziemlich cool. Ich mochte von Anfang an zum Beispiel, dass Issy’s Texte damals schon so weise und reif waren, obwohl sie noch so jung war. Mir kam es immer so vor, als sei sie in der Lage Dinge auszurücken, die ich mit meinen eigenen Songs auch immer hatte sagen wollen. Was wir also zu sagen hatten, lag auf der gleichen Linie und das ist es dann auch, was den Mittelgrund – unsere Botschaft, wenn Du so willst – auszeichnet.

Ferris & Sylvester: Vielfalt als Erfolgsgeheimnis

Der Versuch, die Musik von Ferris & Sylvester zu kategorisieren, müsste zwangsläufig scheitern, denn indem sie offen für so ziemlich alles sind (in dem Fall dann also aus einer bestimmten Epoche), kommt am Ende sowieso mehr heraus, als die Summe der einzelnen Teile.

Wie aber schreibt man so vielschichtige, komplexe Songs wie diese – vor allen Dingen zu zweit?

Issy Ferris: Nun wir schreiben ja jetzt schon seit fast 8 Jahren zusammen Songs – und wir haben eigentlich kein festes Schema nachdem wir vorgehen. Es hängt dann immer davon ab, was in unser Leben zu der gegebenen Zeit alles so passiert. Wir sind ja viel unterwegs – und schreiben demzufolge auch viel unterwegs – im Tourbus oder beim Soundcheck oder so. Neulich haben wir auch unserem Sohn etwas auf der Gitarre vorgespielt und dann an den Stellen weitergemacht, als er darauf reagiert hat. Wir nehmen uns auch Zeit uns hinzusetzen um uns darüber zu unterhalten, in welche Richtung das, woran wir gerade arbeiten, gehen sollte.

Und des Weiteren hören wir uns auch eine Menge unterschiedlicher Musik an. Archie hat nicht nur Songwriter-Ohren sondern auch Produzentenohren. Wir absorbieren also sehr viel von der Musik, die wir uns anhören. Und auch zu lesen, gutes TV und gute Filme anzuschauen inspiriert uns. Eigentlich generell auch zu leben und zu atmen und das alles aufzusaugen.

Die Ferris & Sylvester-Sichtweise

Mit dieser Einstellung sind Ferris & Sylvester ja keineswegs alleine. Verschiedene Inspirationsquellen – auch jenseits der Musik – sind ja immer gute Angelpunkte für Songwriter. Auf dem neuen Album schreiben Ferris & Sylvester aber nicht immer aus der eigenen Sichtweise.

Besteht also darüber hinaus also vielleicht auch noch die Notwendigkeit – wie Schauspieler – bestimmte Rollen und Szenarien zu verkörpern?

Archie: Das ist eine interessante Frage, denn wir haben tatsächlich schon Songs aus der Sicht bestimmter Charaktere geschrieben. ‚Mother‘ ist ein gutes Beispiel für diese Herangehensweise, denn der Song erzählt ja aus der Sicht eines Kindes, das seine Mutter bittet, sich von ihrem Ehemann zu trennen, um gemeinsam ein neues Leben in Freiheit suchen zu können. Wir machen so etwas also schon. Und wenn man dezidiert aus der Sicht von jemandem anderen schreibt, dann muss man sich ja in die Lage dieser Person versetzen. Aber man kann es nicht vermeiden, etwas von Dir selbst einzubringen. Es kommt ja dann doch alles irgendwie von Dingen, die man selbst  aufgeschnappt, erlebt oder gesehen hat.

Wenn Du also zum Beispiel aus der Sicht eines Kindes schreibst, dann kommt das von Erinnerungen, die Du selbst als Kind gehabt hast – vielleicht auch einen Freund betreffend oder gar Deine Vorstellungskraft. Und in ‚Mother‘ geht es auch um Vorstellungskraft, denn im Refrain ist es dem Kind möglich, aus der Situation in der es sich befindet zu flüchten. Das Kind ist dann in seiner Traumwelt. In dem Song steht der Refrain dann für die Traumwelt und die Strophen für die krasse Realität. Was wir also zu in solchen Songs – auch musikalisch – zu erreichen versuchen, ist dass der Hörer – trotz der düsteren Themen – am Ende mit einem Gefühl der Hoffnung zurück bleibt.

Musik als Therapie

Welche Funktion haben die Texte denn für Issy und Archie? Geht es dabei vielleicht auch um therapeutische Aspekte?

Issy: Ja, durchaus. Wenn ich zum Beispiel an unsere Zeit in Nashville zurückdenke, als die Sache mit der Geburt unseres Sohnes passierte, fühlt sich das für mich im Nachhinein beängstigend an. Ich hörte mir aber damals im Kreißsaal ‚Into My Arms‘ von Nick Cave an und dachte mir: ‚Mein – Gott – der versteht genau, wie ich mich fühle und rettet mich jetzt‘. Musik hat mich damals tatsächlich gerettet. Wenn irgend jemand sich dann also unsere Songs anhört, und es uns gelungen ist, ein bestimmtes Gefühl auszudrücken, dass dem Zuhörer weiterhilft, dann haben wir unseren Job als Songwriter wohl richtig gemacht.

Dabei gerieten die neuen Songs – nicht nur, aber auch wegen der voluminösen Arrangements und der komplexen, fast schon Prog-artigen Strukturen und der wortreichen Lyrics – teilweise recht episch.

Was zeichnet denn einen guten Song für Ferris & Sylvester aus?

Issy: Ein guter Song muss schon im Kern ein guter Song sein. Nimm zum Beispiel ‚Mother‘. Der ist ja zwar expansiv und hat ein großes Arrangement, aber wenn wir Dir jetzt den Song auf der akustischen Gitarre vorsingen würden, dann würdest Du denselben Song hören und dieselbe Geschichte würde erzählt.

Archie: Ich denke, dass der Song Dich dann auch schon im Kern berühren sollte. Es geht dabei nicht um Akkordwechsel, die Tonlage oder die Melodie, sondern, darum, dass Du ihn als Zuhörer erinnern können musst und er Dich etwas fühlen lässt. Das ist schon alles.

Ferris & Sylvester: Gemeinsam stark

Das hört sich alles einfacher an, als es in der Realität sein wird, denn ein solcher Kern des Songs muss ja erst ein Mal gefunden werden. Zum Glück können sich Issy und Archie als Songwriter dann aber ja auf den jeweils anderen verlassen.

Hilft es dabei eigentlich, dass Issy und Archie miteinander verheiratet sind?

Archie: Das würde ich jedenfalls nicht empfehlen. Aber im Ernst: Ich glaube, wir würden sogar Songs schreiben, wenn das nicht unser Job wäre, denn das haben wir immer schon getan – schon seit wir sehr jung waren. Es ist eine ganz natürliche Sache für uns, auf diese Weise unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Manchmal reden wir sogar nicht über etwas, sondern schreiben einen Song – denn manchmal ist es für uns leichter, einen Song zu schreiben, als über etwas zu reden.

Das Album „Otherness“ erscheint am 01.03. auf CD, Vinyl und Digital auf dem Label Archtop Records. Im Anschluss daran gehen Ferris & Sylvester auf eine kleine Club-Tour, die sie auch nach Köln, Berlin und Hamburg führen wird. und zu der Sounds & Books noch bis einschließlich Sonntag, 03.03.2024 eine Ticketverlosung unter allen seinen Steady-Mitgliedern anbietet.

Weitere Informationen sind auf der Bandhomepage erhältlich.

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